Burchard of Mount Sion’s Descriptio Terrae Sanctae. Minerva-Gentner Symposium

Burchard of Mount Sion’s Descriptio Terrae Sanctae. Minerva-Gentner Symposium

Organisatoren
Ingrid Baumgärtner, Mittelalterliche Geschichte, Fachbereich 05 Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel; Jonathan Rubin, Department of Land of Israel Studies and Archaeology, Bar-Ilan University, Ramat Gan, Israel
Förderer
Minerva Stiftung
PLZ
5290002
Ort
Ramat Gan
Land
Israel
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
28.11.2022 - 01.12.2022
Von
Moritz Lange, Universität Kassel

Im Mittelpunkt des Minerva-Gentner Symposiums zur Descriptio Terrae Sanctae des Burchard von Monte Sion standen Fragestellungen rund um die Neuedition des Reiseberichts, die im Rahmen eines seit Oktober 2022 an der Universität Kassel und der Bar-Ilan University angesiedelten DFG-Projekts entsteht und bei den Monumenta Germaniae Historica in der Reihe „Reiseberichte“ publiziert werden soll. Organisiert wurde es von Ingrid Baumgärtner (Kassel) und Jonathan Rubin (Ramat Gan). Die deutschen, israelischen, italienischen und britischen Wissenschaftler:innen erörterten die Herausforderungen, die auf inhaltlicher, textphilologischer und technischer Ebene mit der Herausgabe des Werks im Print- und Digitalformat einhergehen. Dabei ließen auch Spezialist:innen aus den Computerwissenschaften ihre Expertise zum Thema einfließen.

Die Neuedition der Descriptio Terrae Sanctae ist von größter Relevanz für die Erforschung des viel rezipierten Reiseberichts, dessen aus dem 19. Jahrhundert stammende Ausgabe von Laurent1 auf eine autorfernere Handschriftenfamilie zurückgeht und heutigen Maßstäben nicht mehr standhält. Wie JONATHAN RUBIN, INGRID BAUMGÄRTNER und SUSANNA FISCHER (Kassel) in ihrer Einführung betonten, scheint die Handschriftenauswahl bisheriger Editionen, so auch jener von Bartlett2 von 2019, willkürlich angesichts der Tatsache, dass mittlerweile mehr als 80 Manuskripte und 20 Drucke der Descriptio bekannt sind. Ziel der Neubearbeitung sei es daher, eine möglichst autornahe Version herauszugeben, die es künftig ermöglicht, Veränderungen in der Rezeption aufzuzeigen. Gegenstand des Workshops waren folglich Fragen, wie sich die neue Edition sowohl im Print als auch digital gestalten sollte und welche Manuskripte im Editionstext beziehungsweise im kritischen Apparat Aufnahme finden sollten.

Zu Beginn präsentierte JONATHAN SCHLER (Holon) die computerwissenschaftliche Perspektive auf das Edieren mittelalterlicher Texte im digitalen Zeitalter. Schler thematisierte die Techniken der Textanalyse und zeigte die Möglichkeiten, mithilfe speziell trainierter Software Rückschlüsse auf die Autorschaft zu ziehen und sogar verloren gegangene Urtexte zu rekonstruieren. Zugleich ging er auf die technischen Limitierungen dieser Methode ein.

Im Anschluss daran ließ PAOLO TROVATO (Ferrara) die Teilnehmer:innen an seinen Überlegungen zum Stemma codicum und zur Überlieferungsgeschichte der Descriptio teilhaben. Trovato griff den von den Veranstaltenden einleitend skizzierten Forschungsstand auf, dass sich die Handschriften im Wesentlichen in eine Langfassung und eine Kurzfassung unterteilen ließen, wobei sich die Langfassung wiederum in fünf Textfamilien (a-e) untergliedere. Trovato bestätigte die Annahmen, dass die Kurzfassung des Textes eine große Ähnlichkeit mit der Textüberlieferung der Familie a, die der ursprünglichen Textfassung des Autors am nächsten komme, habe und folglich aus einem sehr frühen Stadium der Überlieferung abgeleitet worden sei. Darüber hinaus trug er eigene weiterführende Überlegungen zur editorischen Praxis vor und plädierte hinsichtlich des Layouts der künftigen Print-Edition für eine synoptische Gegenüberstellung sich unterscheidender Textstellen.

Der Archäologe DENYS PRINGLE (Cardiff) wandte sich den Orten und Bauwerken in den verschiedenen Versionen der Descriptio zu. Er zeigte auf, dass die Abweichungen zwischen den Texten der Familien a und b eventuell auf nachträgliche Änderungen Burchards selbst zurückzuführen seien. Anhand ausgewählter Textstellen veranschaulichte er die dynamische Entwicklung des Texts und demonstrierte, dass und wie die Zahlenangaben, etwa zur Anzahl und Dicke der Stadtmauern der Stadt Tyros, in den verschiedenen Fassungen voneinander abweichen. Gleiches gelte sowohl inhaltlich als auch syntaktisch für die Art und Weise, wie die Orte beschrieben werden. Auch sei zu beobachten, dass sich Lokalisierungen mit der Zeit verändert hätten, was auf einen Wandel von Wissensbeständen und Interessen des Zielpublikums hindeute.

IRIS SHAGRIR (Ra'anana) verfolgte einen ähnlichen Ansatz. Sie befasste sich eingehend mit den Beschreibungen des Balsam-Baums und des Balsam-Öls sowie der Darstellung von deren Produktionsorten Eingeddi und Matarea. Shagrir gelangte nach einer gründlichen Analyse entsprechender Passagen in den Manuskripten von London und Zwickau zu der Auffassung, dass die Bearbeiter verschiedene Ansätze verfolgten: So habe sich der Schreiber der Londoner Handschrift eher am Buchwissen orientiert und sich stark auf Josephus bezogen, während der Kopist des Zwickauer Manuskripts seine Informationen wohl direkt von Personen übernahm, die er um Rat gefragt habe.

Der erste Workshoptag wurde sodann abgerundet durch Vorträge von PHILLIP LANDGREBE (Kassel) und MOR HAJBI (Jerusalem). Beide befassten sich mit der Rezeptionsgeschichte der Descriptio und illustrierten exemplarisch die Rezeptionsvorgänge, denen der Reisebericht Burchards unterlag. Hajbi setzte sich mit der Frage auseinander, wie die Descriptio gelesen und genutzt wurde. Sie stellte fest, dass die Schreiber des 15. Jahrhunderts den Text beim Kopieren immer wieder mit eigenen Informationen ergänzten. Insbesondere ging Hajbi auf den Wolfenbütteler Codex Guelferbytanus 354 Helmstadiensis ein, in welchem Informationen Burchards systematisch korrigiert worden seien. Landgrebe wandte sich der Analyse der Marginalien, Interlinearglossen und späteren Korrekturen in weiteren ausgewählten Handschriften zu. Er veranschaulichte die komplexen Rezeptionsvorgänge der Descriptio vor allem mit Blick auf die Wirkung, die sie im 15. Jahrhundert auf den Reisebericht des Johannes Poloner entfalteten.

Der zweite Tag hielt fünf Vorträge bereit und wurde von SUSANNA FISCHER eingeläutet, die erörterte, inwiefern Karten beim Verständnis der Descriptio helfen können. Nach einem Überblick über die generellen Zusammenhänge zwischen Pilgertexten, Karten und Diagrammen stellte Fischer ihr 2019 abgeschlossenes Projekt Declaracio Mappe Terre Sancte vor.3 Dort verknüpft sie eine in drei Handschriften überlieferte Gitternetzkarte Palästinas mit zwei Beschreibungen derartiger Karten aus dem Liber secretorum fidelium crucis des Marino Sanudo und der Descriptio terrae sanctae des Johannes Poloner, wobei diese Werke die Karte selbst nicht enthalten. Auf Basis dieser Erfahrungen gab Fischer einen Ausblick auf mögliche neue Techniken, um Pilgertexte zu visualisieren.

SINAI RUSINEK (Haifa) befasste sich mit der Frage, wie ein mittelalterlicher Text im digitalen Zeitalter bestmöglich zu präsentieren sei. Sie stellte in diesem Kontext das Projekt „TraveLab“ vor, dessen Ziel es ist, den Reisebericht des Benjamin von Tudela, der im 12. Jahrhundert von der Iberischen Halbinsel bis nach Arabien reiste, für die Forschung zu erschließen. Rusinek veranschaulichte, wie die im Reisebericht genannten Orte auf einer Karte dargestellt und Lokalisierungen miteinander verknüpft werden können. Ein solches Vorgehen erlaube unter anderem ein tieferes Verständnis der Reiseroute.

CORNELIA LINDE (Greifswald) arbeitete die genaue Beziehung zwischen dem Londoner Manuskript und der Zwickauer Handschrift heraus und ergründete die Möglichkeiten, von diesen beiden Manuskripten des frühen Überlieferungsstranges Rückschlüsse auf eine verlorene Urfassung zu ziehen. Sie untersuchte hierfür den ersten Paragrafen sowie die Beschreibungen des Toten Meeres. Dabei kam Linde zu dem Ergebnis, dass es nicht möglich sei, eine Urfassung zu rekonstruieren, zumindest nicht, ohne der sehr komplexen Rezeption Unrecht zu tun. Sie plädierte daher dafür, jede Fassung einzeln zu edieren, auch wenn dafür praktische Grenzen gesetzt seien.

JULIA BURKHARDT (München) stellte ihre 2020 publizierte Edition samt Analyse des Bonum universale de apibus von Thomas von Cantimpré, einem im 13. Jahrhundert wirkenden Dominikaner und Theologen, vor. Grundlegend für ihre Auswahl der zu berücksichtigenden Handschriften war ein computergestütztes, stemmatologisches Verfahren. Es half, unter den 120 relativ vollständigen und 100 gekürzten lateinischen Handschriften ganz pragmatisch verschiedene Überlieferungsstränge des Werks zu identifizieren, um davon letztlich vier in die Edition aufzunehmen.

Zum Abschluss des zweiten Tages referierten MICHAEL SCHONHARDT (Kassel) und DANIEL GNECKOW (Kassel) über ihre editionspraktischen Erfahrungen aus dem 2020 gestarteten Akademieprojekt „Burchards Dekret Digital“. Nach einem Überblick über das Vorhaben, das sich mit dem Dekret Bischof Burchards von Worms und dessen rechts- und kulturhistorischer Signifikanz befasst, stand der dort angewandte Workflow im Vordergrund, bei dem unter anderem Transkribus, der Oxygen-XML-Editor und CollateX zum Einsatz kommen. Die Referenten unterstrichen das enge Zusammenspiel zwischen digitaler und gedruckter Edition, das auf einer gemeinsamen digitalen Datengrundlage aufbaut, wobei beide Formen konzeptionell untrennbar miteinander verbunden sind. Dabei gaben sie zahlreiche Impulse, die auch für die Neuausgabe der Descriptio Terrae Sanctae wegweisend sein dürften.

Die Arbeiten in den Working Groups ermöglichten es, das editorische Prozedere in Kleingruppen zu diskutieren, die Rezeptionsvorgänge nochmals anhand ausgewählter Proben zu hinterfragen und die daraus resultierenden Chancen und Herausforderungen auszuloten. Die angeregten Debatten kreisten um konkret aufgeworfene Fragen und Textbeispiele, für deren Bewertung und Umsetzung Lösungen gesucht und erneut im Plenum besprochen wurden.

Am dritten Tag unternahmen die Teilnehmenden eine Exkursion in die Küstenstadt Akkon, die nicht nur das fiktionale Zentrum von Burchards Descriptio terrae sanctae bildet, sondern auch heute noch zahlreiche archäologisch relevante Stätten aus einer wechselvollen Geschichte zu bieten hat. Äußerst informativ waren die wertvollen Ausführungen von Jonathan Rubin und Denys Pringle, die die Mitreisenden an ihrer Expertise über die Stadt teilhaben ließen und immer wieder offene Forschungsfragen zur Diskussion stellten.

In der letzten Sektion stellte JOSE MARIA ANDRES PORRAS (Oxford) das Datenbank-Projekt „Reception of the accounts of the Holy Land (12th-13th centuries)“ vor. Dort werden Reiseberichte und andere Zeugnisse, die Auskunft über das Heilige Land des 12. bis 13. Jahrhunderts geben, zusammengetragen. Die Sammlung und inhaltliche Aufarbeitung möglichst vieler Werke dient dazu, diesen Themenbereich für die Forschung überschaubar zu machen. Die Datenbank basiert auf älteren Vorarbeiten, wie etwa den Studien von Reinhold Röhricht. Um die Texte über eine Suchmaschine zugänglich zu machen, werden die einzelnen Handschriften zuvor einer umfangreichen Kategorisierung unterzogen. Letztlich sind auch systematische Vergleiche von Textdifferenzen anvisiert. Die Präsentation verband sich mit einem Testversuch, bei dem die Teilnehmenden die integrierten Suchmöglichkeiten und geplanten Suchfunktionen ausprobieren und eigene Ideen einbringen konnten.

Der von der Minerva Stiftung finanzierte viertägige Workshop ermöglichte, so auch das Ergebnis der Schlussdiskussion, einen intensiven fachlichen Meinungsaustausch in konzentrierter Arbeitsatmosphäre und im langersehnten persönlichen Gespräch, das wegen der Pandemie mehrmals verschoben und durch Zoom-Sitzungen ersetzt worden war. Das Treffen diente auch der Vertiefung internationaler, speziell deutsch-israelischer Kontakte im interdisziplinären Kontext. Die Fokussierung auf eine ausgewählte Gruppe von Experten bot die Chance, Problemstellungen schnell zu identifizieren und eingehend zu besprechen. Neben der inhaltlichen Arbeit an der Textüberlieferung widmete sich ein Schwerpunkt den computergestützten Methoden und Praktiken. Die gemeinsam gesammelten Erkenntnisse fließen in den weiteren editorischen Arbeitsprozess ein, für den auch die neugeknüpften Kontakte und die bei der Exkursion gewonnenen Ortskenntnisse von großem Nutzen sein werden. Das Treffen in Bar-Ilan kann somit als ein vielversprechender Schritt auf dem Weg zur Neuedition von Burchards Descriptio angesehen werden.

Konferenzübersicht:

Jonathan Rubin (Ramat Gan), Ingrid Baumgärtner (Kassel), Susanna Fischer (Kassel): Opening Remarks and Presentation of the Project

Jonathan Schler (Ramat Gan): Collating and Editing Medieval Texts in a Digital Age

Paolo Trovato (Ferrara): Remarks on the Stemma codicum and the Descriptio’s Tradition

Denys Pringle (Cardiff): Descriptions of Sites and Monuments in the different versions of Burchard’s Descriptio Terrae Sanctae

Iris Shagrir (Ra'anana): Matarea and Eingeddi in the Descriptio's different versions

Mor Hajbi (Jerusalem) / Phillip Landgrebe (Kassel): The Descriptio’s Reception: some test cases

Susanna Fischer (Kassel): The Use and the Presentation of the Descriptio: Maps of the Holy Land

Sinai Rusinek (Haifa): Presenting a Medieval Text in a Digital Age

Cornelia Linde (Greifswald): Dominican Manuscripts and Burchard’s intellectual World I: Reconstruction and Reception

Julia Burkhardt (Munich): Dominican Manuscripts and Burchard’s intellectual World II: Editing Thomas of Cantimpré’s Bonum universale de apibus

Michael Schonhardt (Kassel) / Daniel Gneckow (Kassel): Digital Editing Practices. Experiences from the ‘Burchards Dekret Digital’ Project

Working Groups: Text Constitution

Excursion to Acre

Jose Maria Andres Porras (Oxford): Presentation of the Database of the ISF funded Project ‘Reception of the Accounts of the Holy Land (12th-13th centuries)’

Working Groups: Commentary

Concluding Discussion and Remarks

Anmerkungen:
1 Johann C. M. Laurent, Peregrinatores Medii Aevi quatuor. Burchardus de Monte Sion, Ricoldus de Monte Crucis, Odoricus de Foro Julii, Wilbrandus de Oldenborg, Leipzig 1864, S. 19-94.
2 John R. Bartlett, Burchard of Mount Sion, O.P. Descriptio Terrae Sanctae (Oxford medieval texts), Oxford 2019.
3https://www.pilgrimage.gwi.uni-muenchen.de (30.01.2023).

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